HANDLUNGSSPIELRAUM
Eine Arbeit von Stefan Schröder für den Bärwalder See
Was lässt sich einer so grandiosen Landschaft, wie sie am Bärwalder See entstanden
ist, noch hinzufügen? Diese Frage muss sich jede/r KünstlerIn stellen,
der/die hier einen schöpferischen Kommentar entwickelt. Sie stellte sich auch
für Stefan Schröder und die Lösung konnte nichts mit einer unmittelbaren Reaktion
auf die überwältigende Dimension der Tagebaufolgelandschaft inmitten der
Lausitzer Natur zu tun haben. In diesem Bewusstsein konzentrierte sich Stefan
Schröder konzeptuell auf jene Ereignisse, die mindestens seit Abbaubeginn in
den 1970ern die Umgebung und das Leben der Bewohner bestimmten. Er
nennt seine Arbeit "Handlungsspielraum" und weist in diesem Titel bereits auf
die Begrenztheit desselben hin: für die Anwohner, die Veränderungen ihres
Lebensraums weitgehend hinnehmen mussten und erst jetzt nach Beendigung
der Kohleförderung wieder Handlungsfreiheit bekamen.
Statt einer monumentalen Setzung verbirgt sich Schröders Serie von riegelförmigen
Betonkörpern im Uferbereich des Bärwalder Sees und markiert so eine
Serie von Stationen, die gezielt oder per Zufall entdeckt werden. Die Rezeption
des Kunstwerks vollzieht sich zwangsläufig als überraschende, schein-archäologische
Expedition. Und wie bei tatsächlichen altertumswissenschaftlichen
Fundorten, ist die Bedeutung des Objektes aus beigegebenen (Schrift)Zeichen
zu entschlüsseln und enthüllt sich - wenn überhaupt - erst in der Kenntnis
aller Puzzleteile. In diesem Falle handelt es sich um acht infinite Verbformen,
die als Skulptur mit den - auch wie paläontologische Knochen anmutenden -
Artefakten verschmelzen. Diese Worte sind Resultate des Nachdenkens über drei
Jahrzehnte von Transformation. Stefan Schröders Arbeitstagebuch spiegelt den
Entstehungsprozess und das Anliegen von "Handlungsspielraum":
Gerüst für das verdrängte kollektive Unterbewusstsein/ Die Objekte an sich sind
leer und bedeutungslos/ Sie sind weder schmückend, noch wollen sie Denkmal
sein/ Erst im Spannungsfeld des Ortes werden sie zu funktionierenden Modulen,
an die der Betrachter mental andocken kann/ Wie Gerüstklammern halten
sie das gemeinsame Erbe der Braunkohlefolgelandschaft zusammen/ verbinden
auch einander widersprechende Handlungsabläufe/ Der Mensch will es warm
haben, ein Dach über dem Kopf, zu essen und eine Gemeinschaft um sich/
Um nur ein einziges dieser Bedürfnisse einzulösen, werden ganze Landstriche:
Dorf, Haus, Hof geschliffen/ Ausradiert mit nicht einzuschätzenden seelischen
Verwüstungen bei den Bewohnern/ Handlungsspielraum erinnert an die Verantwortung
des Einzelnen, aber auch der Gemeinschaft.
Diese Verantwortung anmahnende Geste freilich vollzieht Stefan Schröder nicht
mit einem didaktischen Zeigefinger. Er ermöglicht die Reflektion darüber in
freiwilliger und eher tastender Aneignung und bietet Informationen auf verstreuten
Trägerelementen an. In der Zusammenschau gleichen diese Fragmente
dann einem probaten, im digitalen Zeitalter weitgehend ungenutzten Mittel,
mit dem antike Rhetoren ihre Reden memorierten. Sie möblierten ihre virtuellen
Gedankengebäude mit gegenständlichen Hinweisen und durchwanderten während
ihres Vortrags im Geiste diese Räume, sich Bild für Bild an ihr Konzept
erinnernd. Vielleicht funktioniert so auch das begehbare Erinnerungsmodell für
tätige Aneignung, das Stefan Schröder anbietet: Die Denksteine haben sich
in Module aufgelöst und stimulieren gerade durch einen seriellen Anstoß die
Auseinandersetzung mit dem Ort am See, seiner Vergangenheit, Gegenwart
und Zukunft in einer betont undokumentarischen und nicht-chronologischen
Annäherung.
Darüber hinaus bieten die grauen Schriftträger - jenseits tiefer Exegesen -
ausreichend Potenzial, am Strand zu Identifikationsorten zu werden: "Treffen
wir uns morgen am abreisen-Stein? Leg dein Handtuch schon aufs auffüllen!"
Wenn Stefan Schröder den möglichen Nutzwert der Riegel auch nicht in den
Vordergrund stellt, kalkuliert er ihn doch mit ein und erweist sich auch darin
als aufmerksamer Beobachter sozialer Klimata: Schließlich liegt die erklärte Perspektive
des Areals in seinem künftigen Freizeitwert. Dass derlei Visionen nicht
naturgemäß in frohsinnigem kollektiven Gedächtnisverlust münden, ist eines der
Anliegen von "Handlungsspielraum".
B i o g r a p h i e
1966 |
geboren in Dresden,
lebt und arbeitet in Oslo und Dresden
|
1987 - 2000 |
Studium an der Hochschule
für Bildende Künste Dresden,
Academie voor Beeldende Kunsten
Breda/Niederlande (Diplom & Meisterschüler)
|
S t i p e n d i e n |
2007, 06, 05, 04 |
Arbeitsstipendium, Billedkunstnernes Vederlagsfond, Norwegen |
2005 |
Projektstipendium GfzK Leipzig |
E i n z e l a u s s t e l l u n g e n (Auswahl) |
2006 |
Urban Collector, Galerie ROM, Oslo |
2006 |
common alphabet, Galerie Tegnerforbundet Oslo |
2005 |
Plagwitzer Sand, Bahnhof Leipzig-Plagwitz |
2003 |
Das Feld, Skur 51, Bjórvika Oslo |
1996 |
Das Feld, Festspielhaus Hellerau, Dresden |
www.schroederstefan.com |
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