EPIPHYTEN / AUFSITZER
Eine Arbeit von Juliane Köhler für den Schlosspark Uhyst
Epiphyten / Aufsitzer sind Pflanzen, die nicht im Boden verwurzelt wachsen,
sondern häufig am Stamm oder in der Krone eines Baumes ihre Heimstatt
gefunden haben. Epiphyten sind fähig, in unwirtlichen Räumen oder bei
starker Konkurrenz durch ihren exponierten Standort zu überleben.
Sie besetzen und setzen sich über andere hinweg.
Die künstlichen Epiphyten, die Juliane Köhler im Schlosspark von Uhyst kultiviert
hat, ranken an zehn mächtigen, alten Stämmen empor und zeichnen in Zitaten die
wechselvolle Historie des Ortes nach. Ein Spaziergang durch den Park wird dieser
Tage zu einer spannenden Exkursion in allgemeine und lokale Gartenkunde, auf die
sich die - immer neue Schriftzüge entdeckenden - Besucher gern einlassen werden.
Die gewählten Textpassagen funktionieren dabei wie Gleichnisse der Kultur- und
Entstehungsgeschichte; sie reichen von der Bibel bis zu einem mündlichen Zeugnis
Uhyster Einwohner.
Sie belegen unterhaltsam die enge menschheitsgeschichtliche Verbindung zwischen
der nutzorientierten Aneignung von Natur und der tätigen Erkenntnis von deren
ästhetischem Mehrwert. So taucht der Verweis auf den Garten Eden als Idee von
ursprünglicher spiritueller Einheit mit der Schöpfung, als Urgestalt eines störungsfreien
Refugiums gleich am Eingang des Areals auf. Der spätere Gestaltungswille
des Menschen wird immer wieder auf diese Bezüge zurückkommen, auch wenn der
religiöse Aspekt dabei mehr und mehr verblasste und die Kreativität von Gartengestaltern
und ihre Begleitphilosophien weltweit zunehmend zu gefragten Dienstleistungen
wurden.
Auf die rational durchkalkulierten Gartenanlagen der Renaissance und später des
Barock bezieht sich Francis Bacons Bemerkung zum Verschönerungspotenzial von
Pflanzen und chronologisch anschließend folgt - wenig überraschend - ein Satz des
Gartenfürsten Hermann von Pückler-Muskau, der dessen am englischen Landschaftsgarten
geschulte, damals so progressive Auffassung in knappen Worten spiegelt. Mit
Pückler verbindet Uhyst nicht nur die Nähe des großartigen Muskauer Gartenensembles,
sondern auch die Tatsache, dass der junge Fürst einst, wenige Schritte von hier,
das heute verwaiste Adelspädagogikum besuchte.
Juliane Köhler konzentriert sich auf den Reichtum abendländischer Gartengeschichte,
sensibilisiert für die ursprünglichen Parkstrukturen mit barocker Achse, die vermutlich
unter Friedrich Caspar Reichsgraf von Gersdorf um 1740 entstanden. Sie
führt dann weiter zu späteren Umgestaltungen im Sinne einer mit der ursprünglichen
Natur verschmelzenden Landschaftsinszenierung und lässt die im 19. Jahrhundert
aufkeimende demokratische Idee von Volksparks anklingen. Auch einen solchen weist
Uhyst in unmittelbarer Nähe auf.
Der Schlosspark selbst allerdings war bis etwa 1991 nicht allgemein zugänglich,
zunächst durch herrschaftliche Besitzverhältnisse abgegrenzt; später durch seine Nutzung
als Krankenhausgelände. Als er wieder geöffnet wurde, war er mitsamt seinen
Besonderheiten als Ort der Erbauung und des Lustwandelns aus dem Bewusstsein
der Ansässigen verschwunden - die heute dominierende Wegnutzung ignoriert
einstige hierarchische und gestalterische Bezüge und zeigt sich als so pragmatische
wie subversive Abkürzung. Hier greifen die leuchtend roten Acrylglas-Markierungen
von Juliane Köhler ein: sie schärfen nicht nur unsere Aufmerksamkeit für die majestätischen
Gehölze, an denen sie angebracht sind. Vielmehr lassen sie auch andere
vergessene, überwilderte Elemente wie die alte botanische Rarität der Rispenhortensie,
vielleicht auch das hallenartige Gewölbe der Baumkronen, die verwitterten
Barockskulpturen und ein verborgenes Wasserparterre mit künstlichem Inselchen in
neuem, charmantem Licht erscheinen.
Dabei verliert sich das künstlerische Programm
keinesfalls im sentimentalen Rückblick, sondern streift aktuelle ökologische Perspektiven
und bezieht vor allem die allgegenwärtige Präsenz des Braunkohleabbaus im
Tagebau Bärwalde von 1970 bis 1992 mit ein: Glaubt man den Überlieferungen der
Uhyster, so liegt der Park direkt auf einem Kohleflöz und entging nur durch eine
gewitzte Manipulation mit vertauschten Bohrkernen der Abbaggerung. Die allgemein
durch die Kohlegewinnung nötige Absenkung des Grundwasserspiegels freilich beeinträchtigte
auch den Uhyster Schlosspark und seinen Baumbestand. Insofern sind
die filigranen roten Schriftkapillaren auch als bild- und signalhafte Anspielung auf
die durch menschliche Eingriffe gefährdeten Lebensadern der Bäume zu verstehen.
Auf all diese Ebenen von Erkenntnis und Entdeckung sind wir eingeladen zu folgen
- entlang von Juliane Köhlers "Epiphyten"-Garten.
B i o g r a p h i e
1974 |
geboren in Grimma/DDR,
lebt und arbeitet in Dresden
und Tokio/Japan
Diplom in Malerei/Grafik an der
Hochschule der Bildenden Künste
Dresden bei Ulrike Grossarth
Master-Studium am Royal University
College of Fine Arts in Stockholm/
Schweden
Meisterschülerin bei Martin Honert |
2003 |
Marion Ermer Preis |
2005 |
Reisestipendium China, Axelsson
Jonsson Stipendiefond/ Schweden |
2007 |
Stipendium des Freistaates Sachsen
für Columbus/Ohio |
seit 2003 |
vertreten durch Galerie Baer/
Raum für aktuelle Kunst, Dresden |
|
www.galerie-baer.de |
|
|
Eden
pflanzte einen Garten
und setzte den Menschen drein
den Baum des Lebens mitten
und den der Erkenntnis des Guten und Bösen
(Mose, 2, 8-10)
pflanzte die reinste aller menschlichen Freuden
ohne welche alle Gebäude rohe Machwerke sind
(Francis Bacon, 1561-1626)
es ist die Freiheit der Bäume nach der wir uns
sehnen (Hermann Ludwig Heinrich Fürst von
Pückler-Muskau, 1785-1871)
zum traulichen und geselligen Umgang
aller Stände im Schoße der schönen Natur
(Friedrich Ludwig von Sckell, 1750-1823; Notiz
zum Volkspark Englischer Garten in München)
die Selbsttätigkeit der Natur vernichten
(Gernot Böhme, "Für eine ökologische
Naturästhetik", 1999)
der Park liegt voller Kohle
(Uhyster Bürger)
Die Acrylglas-Schriftzüge wurden nach handschriftlichen Vorlagen von Uhyster Bürgern gestaltet.
|