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Bertram Weisshaar
warten und gehen

Spaziergangsforschung in Uhyst mit Bertram Weisshaar

Kommt ein Reisender nach Uhyst, findet er zahlreiche Zeichen des Wartens. Ja, der ganze Ort, die ganze Region, scheint in einem Zustand des Wartens: Zahlreiche Werbeschilder links und rechts der Durchfahrtstrasse "erzählen" vom Warten auf Kunden. Vor den ziemlich häufig geschlossenen Schranken des Bahnübergangs, der den Ort ein wenig wie in zwei Teile teilt, warten tagtäglich Menschen auf die Durchfahrt des Zuges. In der Ortsmitte, am Wartehäuschen mit ungewöhnlicher Architektur, steht der abfahrtbereite Bus, während der Busfahrer noch eine Zigarette raucht, das Erreichen der Abfahrtszeit abwartend. Die fast stets anzutreffenden Angler, aufgereiht entlang den Teichufern der Uhyster Fischwirtschaft, scheinen das Warten bereits als eine höhere Daseinsform zu leben. Aber auch das "Große Warten" zeigt sich in Uhyst: Jedes einzelne der 122 Fenster des seit 1990 ungenutzten Schlosses scheint Ausschau zu halten nach einem Investor mit reichlich Kapital und ausgefallenem Nutzungskonzept - und scheint nun just gefunden. Eine ähnliche Situation markiert die neu errichtete Steganlage auf dem Bärwalder See, die in wenigen Tagen ihrer Bestimmung übergeben wird - die Flutung des ehemaligen Restlochs hat sich dem beabsichtigten Wasserstand bereits genähert und die erhofften Sportboote und Touristen können den See in Besitz nehmen. Während dessen warten viele Mütter und Väter darauf, dass ihre Kinder nach Abschluss der Berufsausbildung wieder nach Uhyst zurückkehren und hier im Ort eine Zukunft finden.

Der Spaziergang "warten und gehen" mit Bertram Weisshaar führt an einige Orte des Wartens. Performative Inszenierungen und temporäre Installationen inszenieren eine Abfolge von Stationen. Die Wahrnehmung richtet sich hierbei sowohl auf das Sehen wie auch auf das Hören. So entdeckt der Spaziergang beispielsweise den Bahnhof als eine Parkszene. Gemälde aus Uhyster Wohnzimmern versammeln sich an diesem Tag zur "Uhyster Kunstsammlung". Und gelegentlich werden die Teilnehmer selbst in das Geschehen einbezogen. Am Ufer des neuen Sees werden sie beispielsweise selbst zu einem Bestandteil der neuen Landschaft.

Ausgangspunkt des Spaziergangs ist das ehemalige Pädagogium. Diese einstige Lehranstalt wird stets in Verbindung gebracht mit Hermann Pückler-Muskau, der schillerndsten und berühmtesten Figur, die Uhyst streifte. Während seiner nur vierjährigen Zeit als Schüler in Uhyst kommt der zukünftige Schöpfer von Park Muskau und Park Branitz erstmals mit dem Garten in Kontakt, als ihm ein Teil des Schulgartens zur Pflege übergeben wird. Und noch ein anderes Feld lernt Pückler in Uhyst zu bestellen, wie wir aus einem seiner überlieferten Briefe erfahren: »Ich nun, der noch nicht ganz 10 Jahre zählte, verliebte mich sterblich in das fromme Mädchen, und bald machen wir es möglich, uns an zum Teil wunderlichen Orten allein zu treffen und Mund auf Mund und Tränen in den Augen vor Verzückung zu vergehen. Aber unschuldig (...) bleibt unsere frühe Liebe nicht. Ich war sehr früh gereift, und schon was man verführt nennt. Mein frommes Mädchen gleichfalls durch Gespielinnen, und auf solche Weise, wie zwei Mädchen, genossen wir, gewissermaßen in aller Unschuld, wenigstens ohne Gewissensskrupel und mit Enthusiasmus, Liebe und Wollust unersättlich, wie unbefangene Naturkinder, fast ein ganzes Jahr lang ...« (Heinz Ohff, Der grüne Fürst) So kann uns diese gestrenge, heute verfallende Anstalt in Uhyst noch heute etwas lehren: Schräge Vögel werden geliebt - sofern sie bereits in der Vergangenheit lebten.

Bertram Weisshaar

weiterer Spaziergang mit Bertram Weisshaar
im Rahmen des Festivals Transnaturale am 31. August, 14 Uhr


B i o g r a p h i e

1962 geboren in Baden-Würtemberg

Lehre zum Fotografen

Tätigkeit als Industriefotograf

Studium an der Universität GHK Kassel, Studiengang Landschaftsplanung

seit 1995 freischaffend tätig als Spaziergangsforscher und Fotograf
in Partnerschaft mit unterschiedlichen Institutionen

1998 Gründung von alias - Atelier für Spaziergangsforschung in Dessau


1999 Melitta Förderpreis Bildende Kunst


2001 Gründung Atelier LATENT in Leipzig


2006 Förderung VG BildKunst


2006 Kulturpreis Schwarzwald-Baar


P r o j e k t e (Auswahl)
1995 bis 1998 gartenkünstlerische Projekte im Braunkohlentagebau Golpa-Nord
(Sa.Anh.): Transitorische Gärten + Schwimmende Gärten

1997 Gründung des Museums "Exil des Priapos"
auf dem Grund der Grube Golpa-Nord

1997 + 1998 Organisation von "Claim-Summer Golpa-Nord"; Workshops + Kollogien
zur experimentellen, gartenkünstlerischen Inwertsetzung der Braunkohlenlandschaft

1998 "Gärten zum Borgen" - Beitrag zu Temporären Gärten Berlin

1999 -2000 "Gärten auf Reisen" - Gartenkünstlerisches Projekt mit Stationen in Berlin, Dessau, Halle, Potsdam, Weil am Rhein, Leipzig; Dokumentation in Dauerausstellung im Museum für europäische Gartenkunst Schloss Benrath

1999/2000 "Barbecue City - Promenadologie a Bordeaux"; Beitrag zur Ausstellung "Mutations" im Architekturzentrum arc en rêve, Bordeaux, Frankreich

2002 "sprawl garden" und "Gartenagentur"; Beitrag zur Kunstaustellung hell-gruen der Stadt Düsseldorf im Hofgarten Düsseldorf

seit 2002 zahlreiche Spaziergangsinszenierung zum Kontext Stadtwahrnehmung und Stadtumbau; z.B.: "quergebürstet" und "Wo Anne ihren ersten Kuß erhielt" für Stadt Leipzig, "Sprawl Garden"-Gartenhappening für Kunstverein Leipzig, "Spaziergang in der Landschaftslücke" im GrünGürtel Frankfurt (Main) für Umweltamt Frankfurt, "Gleichviel mit weniger" für Stadt Wurzen, "Spaziergang mit Radio Promenadologie" für Intern. Bauausstellung Fürst Pücklerland und für EuroLandArt 2006

2002 Initiierung "Tafelfestes" in der Lutherstadt Eisleben als Beitrag zum Wettbewerb "Stadtumbau Ost"; 3. Preis; (Arbeitsgruppe)

2003 "Treibgutreisen" Spaziergangs-Programm als Beitrag zu "Europagarten2003" in Frankfurt (Oder) und Slubice (Pl); in Zusammenarbeit mit einer Seminargruppe der Universität Viadrina

2003 Reiseprojekt "und dennoch" als Beitrag zur Landeskunstausstellung "Landschaften, Wildflecken und Gartenreich" an der staatl. Galerie Moritzburg, Halle (Saale)

2003 "Ortsbestimmungen"; Beitrag zu dem partizipatorischen Projekt "Der Friesische Teppich", initiiert von AdKV - Arbeitsgemeinschaft deutscher Kunstvereine

2003 "Kunst+Wasser Montafon", Landschaftsbezogenes Kunstkonzept für die Talschaft Montafon, Östereich

2004 3. Preis, Wettbewerb "Leben nach dem Kies" (Arbeitsgemeinschaft)

2004 "Die Suche nach dem Taschentuchbaum", Zu Fuß von Leipzig nach Köln durch die Kleingärten; Beitrag zur Ausstellung "Privatgrün", Kunstraum Fuhrwerkswaage, Köln

2004 "7 Räume 7 Träume"; Partizipationsprojekt zum Saarkohlenwald / Regionalpark Saar; in Arbeitsgemeinschaft

2005 Internationaler Fotoworkshop und Ausstellung "Ostrava - Peripherie oder was?", Ostrava, Tschechien

2006 "CamouSchaf", 2. Preis bei Kunst-Wettbewerb EuroLandArt Festival

2007 "GPS-Spaziergang" Zwischen AVUS, Bahngleis und Knüppeldamm, Berlin

www.atelier-latent.de